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Jazz Thing, 04/12

Reinhard Köchl

A Badisch Man in New York

Immer wenn Jürgen Hagenlocher das schnuckelige Freiburg hinter sich lässt und nach New York fliegt, öffnet sich ihm eine völlig neue Welt. Während zuhause der Jazz auf dem Dauerprüfstand steht, ticken die Uhren drüben völlig anders. Deshalb überrascht der Tenorsaxofonist nun mit einem Album, bei dem es gilt, auf die vielen kleinen Nuancen zu achten, die er und seine amerikanischen Komplizen auf ihrem Weg durch die Seele dieser Musik gefunden haben.

Soso, der Jazz krankt also. Keine neuen Konzepte, immer nur alter Käse. Das Hohelied von anno dunnemals, ideenlos, nicht mehr relevant und auf der Höhe der Zeit. ln ihrem zwanghaften Bemühen, nur ja nicht wie Zurückgelassene zu klingen, greifen Jungmusiker heute lieber zur Kuhglocke als zum Saxofon, drehen ihren nassen Finger virtuos auf dem Rand eines Weinglases oder lassen sich von Trash Metal, japanischen Koto-Meditationen, Rimski-Korsakow und den Flötenweisen eines turkmenischen Hirtenbuben inspirieren. Und Amerika ist sowieso total out Wenn schon Jazz, dann europäischer. Dort sorgt man sich wenigstens um das zarte Pflänzchen. Während drüben eh nur noch Trockenblumen in friedhofsgleichen Museen vor sich hingammeln.

Wer die neuerliche Diskussion um diese Musik verfolgt, der könnte fast den Eindruck gewinnen, sie sei schon längst tot. Gott sei Dank gibt es da noch Typen wie Jürgen Hagenlocher. Der 44-jährige Tenorsaxofonist aus Freiburg liest nach eigenem Bekunden wenig, lamentiert nicht und geht, "weil ich fur so etwas eigentlich gar keine Zeit mehr habe", kaum ins Internet. Aber dafür viel lieber in die USA. Dort kann Hagenlocher nämlich regelmäßig das genießen, was hierzulande mit Rammstein nicht unter vier Jahren bestraft wird - nämlich stinknormalen Jazz in einer Quartettformation mit zwei Bläsern und einer Rhythmusgruppe zu spielen. Puh, wie langweilig, stöhnen jetzt vermutlich die hippen Bedenkenträger. Dabei lohnt es sich durchaus, einmal hinter die Fassade dieses preisgekrönten und vielbeschäftigten Sax-Maniacs, der als Dozent an der Jazz- und Rockschule Freiburg wirkt und von prominenten Kollegen diesseits wie jenseits des Atlantiks über den grünen Klee gelobt wird, sowie seine aktuelle CD
"Leap In The Dark" (lntuition/Challenge) zu blicken. Hagenlochers dritte unter eigenem Namen ist nicht nur wörtlich übersetzt ein Sprung ins Ungewisse. Offene Soloteile mit stets ungewissem Ausgang: "Keiner weiß genau, was passiert. Das kann jedes Mal anders klingen." Noch dazu eine Mannschaft aus Hochkarätern der New Yorker Jazzszene mit dem Pianisten David Kikoski, dem Bassisten Boris Kozlov und dem Drummer Nate Smith, von denen er bis auf den Trompeter Alex Sipiagin zuvor niemanden kannte. Kein Fall ins Bodenlose, wohlgemerkt, sondern ein in jeder Hinsicht zeitgemäßes Dokument, wie Jazz im Jahr 2012 auch klingen kann, ohne gleich ein Feuerwerk an Skurrilitaten und Blendgranaten abzubrennen.

"Alex hat seine Kontakte spielen lassen. Im Prinzip ist es ja seine Band, in die ich anstelle von Donny McCaslin oder Seamus Blake rücke. Ich habe ihnen meine Noten sowie Songentwürfe auf MP3 Files geschickt, und sie mochten Sie auf Anhieb", erzählt Hagenlocher. In einem Studio am Times Square entstand dann in nur sechs Stunden das Album. "Ich bin kein Diktator, der den Anderen sagt, wie und was sie spielen sollen. Ich lasse den Musikern beim Schreiben bewusst Raum, den sie selbst füllen können. Das haben sie ziemlich schnell kapiert und irgendwann Sachen gemacht, die ich nie fur möglich gehalten hätte. Keiner hat nur irgendeinen Job heruntergerissen, sondern sich vielmehr mit Haut und Haaren eingebracht." Was lernen wir daraus? Es geht in erster Linie um die Persönlichkeit. Wer keine hat, der muss halt durch etwas Anderes auf sich aufmerksam machen. Veränderungen, sagt der Bandleader, beginnen wenn überhaupt dann nur im Kleinen. In einem selbst. Die Interessengemeinschaft Hagenlocher, Sipiagin, Kikoski, Kozlov und Smith zum Beispiel eliminiert erst einmal den im klassischen Jazz bis zum Erbrechen wiedergekauten 4/4 Takt. Stattdessen setzen die fünf ziemlich krumme Metren: 11/4, 10/4, 7/4 oder 5/4·
Vor allem David Kikoski faszinierte den Deutschen dabei über alle Maßen: "Der legt ganz plötzlich noch einmal andere Taktarten darüber, und irgendwann löst sich das Ganze wieder auf. Klingt fantastisch und fordert einen auch handwerklich. Bei der Harmonik haben wir uns von modalen Stücken oder der üblichen Funktionsharmonik wegbewegt und mehr der Stimmführung zugewandt. Da wechseln die Klangfarben wie bei Wagner und Schönberg. Gerade solche Sachen haben sich in den vergangenen fünf Jahren in New York entwickelt." Unspektakulär zwar, aber enorm effektiv. Musiker, die mal nicht an ihrem Erscheinungsbild arbeiten, sondern tatsächlich an der Musik.

Ein Gedanke, der es verdient, behutsam abgewogen zu werden. Denn Jazz ist für Hagenlocher ein Labyrinth, ein weit verzweigtes Höhlensystem, das noch jede Menge unentdeckter Geheimnisse in sich birgt, die nur entdeckt werden wollen. Der Badenser, eigentlich das genaue Gegenstück eines Mahners, Revolutionärs und Lautsprechers, hat langst mit der Suche begonnen. "Diese Musik kann auf eine rasante Entwicklung zurückblicken. Nahezu in jedem Jahrzehnt gab es irgendeine Neuerung. Das ging so schnell, dass vieles einfach übersehen wurde und auf der Strecke blieb. Wir sollten mal wieder ein paar Schritte zurückgehen, diese Sachen aufgreifen und versuchen, sie zu perfektionieren." Deshalb wählt er regelmaßig die Passage vom beschaulichen Breisgau in den hektischen Big Apple. Die Musiker dort seien anderen sowohl in punkto lnstrumentaltechnik als auch hinsichtlich der Benutzung des Tonmaterials um Längen voraus. Was seiner Meinung nach auch am extrem harten Wettkampf in New York liegt. Konkurrenz belebt also tatsächlich das Geschäft. Ein Grund, warum Jürgen Hagenlocher lieber in Freiburg bleibt. "Hier bin ich jobmaßig gut im Sattel." Gegessen wird zuhause. Den Appetit auf Abenteuer kann man sich gerne auswärts holen.

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