Interview im Jazzpodium 03/08
Reiner Kobe
Der vierzigjährige seit 1994 in Freiburg lebende Tenorsaxophonist Jürgen Hagenlocher stammt vom Bodensee, wo er früh mit dem Jazz begann. Bei "Jugend jazzt" wurde er mit einem Preis bedacht und kam 1990 für zwei Jahre ins Landesjugend-Jazzorchester unter Bernd Konrad. Sein Studium an der Swiss Jazz School in Bern bei Andy Scherrer und George Robert schloss Hagenlocher vor zehn Jahren ab. Seitdem tourt er mit eigenen Bands und hat im Sommer mit seinem Orgel-Quartett das CD-Debüt vorgelegt.
Wie bist du zum Jazz gekommen?
Als Kind lernte ich elektronische Orgel und hatte dann Keyboards in verschiedenen Schüler-Bands gespielt. Mit 17 versuchte ich mich am Saxophon und nahm Unterricht in Friedrichshafen bei Andieh Merk. Er war ein totaler Coltrane-Fan, dessen komplette Coltrane-Plattensammlung ich überspielte. Das hat mir unglaublich gefallen. Merk war eher ein Free-Jazz-Saxophonist, so dass ich quasi auch mit Free Jazz angefangen habe.
Wie hat das ausgesehen?
Der Lehrer hat mir die Griffe auf dem Saxophon gezeigt. Ich konnte dann auch ziemlich schnell darauf spielen. Es hat vielleicht damit zu tun, dass das Saxophon grifftechnisch so ähnlich ist wie eine Blockflöte, die ich als Kind auch spielte. Weitere Kenntnisse besaß ich vom Keyboard-Spiel: die ganzen Harmonien etc. Es ging relativ schnell am Anfang. Der Unterricht lief so ab: der Lehrer hat Perkussion gespielt, ich habe dazu improvisiert, was mir so eingefallen ist. Gelegentlich kam sein Bruder Heiner hinzu, ein Bassist, mit dem ich später auch eine CD aufgenommen habe. (Hagenlocherl Merk/Freudenthaler: "Thank You, Mr. C. ")
Kam irgendwann mal die Jazz- Tradition dazu?
Die kam mit einem anderen Lehrer, Gerhard Schall. Er ging einen ganzen Schritt zurück in der Tradition. Er zeigte mir Standards und hat mich mit den Klassikern Lester Young, Coleman Hawkins und Dexter Gordon bekannt gemacht.
Du bist ziemlich früh mit einer eigenen Band in Erscheinung getreten.
Zu dieser Zeit hatte ich eine Band formiert, das Montmartre Quintett. Es waren Musiker, die gerade angefangen hatten. Wir haben gleich den Jugendförderpreis der Stadt Friedrichshafen erhalten. Wir waren so motiviert, dass wir uns für "Jugend jazzt" angemeldet haben und den Regionalwettbewerb gewonnen haben. Beim Landeswettbewerb in Stuttgart dann wurden wir dritte. Bernd Konrad wurde auf uns aufmerksam, von dem wir erfahren haben, dass es auch ein Landes-Jugend-Jazzorchester gibt, was bislang noch nicht in die Friedrichshafener Provinz vorgedrungen war. Wir wurden zum Vorspielen eingeladen und landeten gleich alle miteinander im Orchester. 1990 machten wir eine Tour durch Russland. Für uns war damals klar, dass wir ein Musikstudium aufnehmen werden.
Da war sicher noch eine Menge zu machen vorher?
Ich habe Aufnahmeprüfungen in Deutschland, Holland und Österreich gemacht und bin überall durchgefallen. Allmählich hatte ich gemerkt, welche Anforderungen gestellt wurden und mir einen richtigen Lehrer gesucht, der mit den Anforderungen der Musikhochschule vertraut war und auch wirklich einen Weg kannte, wie man die "richtigen" Jazzlines spielt. Ich nahm Privatunterricht bei Tom Timmler von der Freiburger Jazz & Rock Schule. Er hat mich für die Aufnahmeprüfung in Bern vorbereitet, wo er auch selbst studiert hat.
Du bist also nach Bem gegangen?
Ja. Dort habe ich bei Andy Scherrer studiert, die beiden letzten Semester bei George Robert. Ich hatte zwei relativ konstante Projekte. Neben meiner Abschluss-Band hatte ich gleichzeitig noch eine Band am Bodensee.
Die Wurzeln des aktuellen Quartetts liegen hierbegründet?
Ja, es ist eine Fusion aus beiden Quartettbesetzungen daraus entstanden. Thomas Bauser, mit dem ich während des Studiums schon zu tun hatte, kam als Pianist zum HMF-Trio hinzu. Als Thomas dann anfing Hammondorgel zu spielen und wir nach einer Möglichkeit regelmäßig
in Freiburg zu spielen suchten, riefen wir mit dem Schlagzeuger Jörg Eckel, dem Altsaxophonisten Ingmar Kerschberger und anfänglich mit dem Gitarristen Florian Enderle die Hammond Jazz Night ins Leben, die vor 4 Jahren zur festen Einrichtung in Freiburg wurde. Die Hammond Jazz Night ist ein Gemeinschaftsprojekt und ich wollte aber unbedingt ein eigenes Album machen, für das ich Dano Haider dazuholte. So ist daraus mein Quartett mit den Musikern, Thomas Bauser, Orgel, Dano Haider, Gitarre, und Jörg Eckel, Schlagzeug, entstanden. Ich habe angefangen, Stücke zu schreiben für diese Besetzung. Das zentrale Element der Band ist die Orgel. Sie ist ein bisschen unser Star. Sie ist das Zentrum der
Band, da sie den Bass- und Klavier-Part innehat. Ich wollte nicht unbedingt ein Quartett mit Orgel machen, aber das hat sich über die Hammond-Night so ergeben. Über Thomas Bauser habe ich außerdem viele Stücke kennengelernt, die ich bislang nicht kannte. Der Sound der Orgel hat mir irrsinnig gefallen, er war wirklich mal was Neues. Bestimmte Dinge funktionieren zwar mit der Orgel nicht, aber dafür gibt es dann anderes. Die Orgel ist etwas Besonderes. So kamen dann auch die Ideen für meine Stücke. Ich dachte über andere Formen, unübliche Akkordverbindungen, ungerade Takte für meine Kompositionen nach. Bestimmte Dinge funktionieren zwar mit der Orgel nicht, die mit einem Quartett mit Bass und Klavier gehen, aber dafür gibt es dann wieder andere Möglichkeiten mit der Orgel. Die Orgel ist etwas Besonderes.
Beim Komponieren hast du die Orgel im Kopf gehabt?
Ja, auch die Personen natürlich. Ich kenne alle drei Mitmusiker recht gut und habe ihnen die Stücke quasi auf den Leib geschrieben. Ich habe den Sound von Dano Haider berücksichtigt, den klassischen Gitarren-Sound, der von Wes Montgomery kommt. Ich weiß auch, dass sich Thomas Bauser und Dano Haider ganz gern mit Akkorden beschäftigen, mit Verbindungen und Changes. Das liegt mir auch. Freie Sachen habe ich nicht gemacht. Rhythmisch spielt Jörg souverän ungerade Takte, was ich bewusst eingeplant habe.
Du klingst auf dem Tenor manchmal wie auf einem Alto. Täuscht mich mein Eindruck?
Das dürfte einfach meine Tonvorstellung sein. Mein Ideal ist ein sehr schmaler, scharfer und trotzdem möglichst weicher Ton, inspiriert von John Coltrane. Ich gebrauche öfter die obere Oktave des Instruments als die untere. Zudem habe ich mir noch den Flageolettbereich des Saxophons erschlossen und kann so den ganzen Tonumfang des Altsaxophons nach oben hin abdecken (Nach unten sowieso, das Tenor geht ja tiefer), was ich oft mache.
Was sind deine Vorbilder?
Zu 90 % John Coltrane. Trane war während meines Studiums das Maß aller Dinge, Dann Dexter Gordon, von dem ich einiges transkribiert habe, wegen der Melodik, in der eine unglaubliche Logik liegt. Coltrane war übrigens auch ein großer Gordon-Fan. Am Ende des Studiums bis 2000 habe ich mich noch stark mit Joe Lovano beschäftigt. Ich habe zwei CDs komplett transkribiert und zusätzlich noch einzelne Stücke von anderen CDs und sie analaysiert. Ich habe Systeme herausgefunden, wie ich das Tonmaterial, das Joe Lovano verwendet, für mich nutzen kann. Lovano war eine interessante technische Herausforderung und Anregung für Phrasierungen. Es gibt übrigens noch einen Tenorsaxophonisten, der mich Sound- und Phrasierungs-technisch in letzter Zeit beeinflusst hat. Das ist Seamus Blake.
Weiche Beziehung hast du zu Standards?
Die Kombination von Eigenkompositionen und Standards auf der aktuellen CD gefällt mir. So bin ich es auch von anderen Aufnahmen gewohnt. Es ist bestimmt auch ein Marketing-Ding von großen Labels,
woran ich aber gar nicht gedacht habe. Mir gefällt die Verknüpfung einfach und man zeigt dadurch auch den Respekt vor der Tradition des Jazz. Standards sollten natürlich verändert werden, z.B. bei "All the things you are" habe ich ein neues Intro geschrieben und die Bridge mit den Changes von "Giant steps" reharmonisiert. Die Modulationen in den Al/2-Teilen habe ich auch verändert, sowie den ganzen A3-Teil.
Warum wird der Titel "Night waltz" ausgeblendet?
Das war von vornherein so geplant. Dieses Stück endet mit einem achttaktigen Vamp, der sich immer wiederholt. In der Solo-Form wiederholt er sich immer zwei Mal, zum Schluss wird er ausgeblendet. Wenn wir das Stück live spielen, werden wir leiser und leiser und hören irgendwann auf.
Weiche Bedeutung haben die drei anderen Namen auf der CD?
John Riley ist der Schlagzeuger der Bob Mintzer Big Band. Er unterrichtet in New York, war Lehrer von Bill Stewart und anderen namhaften Schlagzeugern. Jörg hatte sporadisch Unterricht bei ihm. Er war auch einmal bei einer Session in der Freiburger Jazz und Rock Schule mit dabei, wo ich ihn kennenlernte. Jim Snidero und Randy Brecker habe ich einfach per Mail gebeten, ihre Meinung kundzutun. Randy war sogar bereit, im nächsten Jahr eine kleine Tournee mit unserer Band zu bestreiten.
Wie kam es dann zu den Aufnahmen für das Label Mons?
Wir haben das Master-Band an verschiedene Labels geschickt. Ich habe dann Mons genommen, weil es mir am bekanntesten schien und ich mit dem Produzenten Thilo Berg fruchtbare Gespräche geführt habe. Thilo kümmert sich um die Band. Das schätze ich sehr. Durch ihn und sein Label war es leichter Gigs für die Band zu finden.